Die Rabtaldirndln waren mit „Du gingst fort – Eine Art Fahndungsformat“ zu Gast im Schauspielhaus Graz. Sie blieben ihrem einenden Thema treu und zeichneten auch in dieser Inszenierung das Spannungsfeld zwischen Stadt und Land nach. Das vierköpfige Theater- und Performancekollektiv aus der Weststeiermark wurde 2014 mit dem BestOFFstyria-Award ausgezeichnet und performte am Montag gewohnt gut, obwohl zumindest eine der vier aufgeweckten Mädels bald fortgehen wird aus ihrer Heimat („Die Rabtaldirndln sind einander Heimat“) – nicht in die Stadt, dafür in den Mutterschutz. Dramaturgie, Handlung und Ausstattung kamen diesmal von Ed Hauswirth und Georg Klüver-Pfandtner. Bühne war das Haus Zwei.
Emotionalität wurde angekündigt. Emotional wurde es. Wenn man wollte.
Die Rabtaldirndln bedienten so ziemlich alle Klischees, die man sich vom steirischen Landleben nur vorstellen kann: Angefangen bei Dialektausdrücken und dem Duzen als normalste aller Publikumsansprachen, traditionellen Dirndl-Gewändern, Volkstanz über Aversionen gegen moderne Technik, innigen Bindungen zu Familienmitgliedern und deftiger Hausmannskost bis hin zum Gemeindegasthaus als Ort, an dem Politik gemacht wird und dem Schnaps-Trink-Zwang. Steirische „Landeierei“ wie sie im Buche steht – Ein Fest für die vorurteilsfreie Urbanität des Schauspielhauses.
Thema war das aber nicht. Thema war Landflucht, Identitätssuche und -konstruktion, Entfremdung und Rückkehr: der Verrat an der Heimat, der vielen vorgeworfen wird, die die vermeintliche Idylle des Landlebens freiwillig zugunsten der Anonymität der Stadt verlassen. „Ausheimische“, die Art von Heimat-Verrätern, sind am Land ebenso schlecht angestellt wie „Zuagroaste“ (Zugewanderte). Wie kann man einfach weggehen und das Land und die Familie im Stich lassen? Wie kann man sich freiwillig für die Stadt entscheiden? Wie freiwillig das heimelige Nest verlassen und flügge werden? Und: Gab es Anzeichen, die auf eine bevorstehende Flucht schließen hätten lassen?
Diese Fragen erfordern eine Ermittlung, eine kriminalterminologische Ermittlung: Eine Fahndung nach den Vermissten. Nach der Tante, der Schwester, dem Onkel.
Ob sie nach Übersee, in die große Metropole oder nur ins Nachbardorf ausgewandert sind, der Verrat an der Wiege ist derselbe. Zumindest für die Hinterbliebenen kommt die Auswanderung der geliebten Personen einem Verbleichen derselben gleich. Das ist nur allzu typisches ländliches Denken. Das kann man bestätigen, wenn man selber „Verräter“ ist. Das macht das Stück dann auch emotional. Die Sager, die Konflikte, der Verrat und der Vorwurf.
Im Verlauf der anderthalb Stunden Klamauk, Konstruktion und wunderbar ironisch inszenierter Klischeemeierei werden pro vermisster Person Beweisstücke angeführt, die als Indiz für das geplante Verbrechen gedeutet werden. Sei es ein noch so banales „Drum“, an das sich gemeinsame Erinnerungen heften. Sei es eine kaputte Gitarre, ein Kinderbuch oder ein Strickjäckchen.
Die Zimmer der Ausgewanderten werden in Ehren gehalten, die persönlichen Gegenstände, die zurückgelassen wurden ebenso. Man hält die Zeit an, konserviert das Vergangene im Gegenwärtigen. Diese Zimmer muten an wie Särge und dienen doch einem Zweck: zu simulieren als wären die „Ausheimischen“ nie weggegangen. Man will nicht glauben, dass sie in der Stadt eine Heimat gefunden haben könnten: „Durchs ‚böln’ (= bellen vulgo für Dialekt sprechen) verraten´s si eh in da Stodt.“
Man trauert, als wären sie nicht mehr auf der Welt und würden nie mehr wiederkommen. Kommen sie doch auf Besuch, ist dieser immer zu kurz und schmälert das Verbrechen nicht, ist „eh nix wert“, sondern unterstreicht es nur noch. Dabei könnte man doch auch umgekehrt besuchen. Aber: Das geht nicht.
In die Stadt? Wo sich doch alle gesellschaftlichen Strukturen auflösen? Wo man am Markt kaufen muss, was man zu Hause einfach im Wald holt? Wo die Luft so schlecht ist? Wo man seine Menschlichkeit zu verlieren beginnt, sobald man auch nur die Stadtgrenze passiert hat? – Das geht nicht.
Lieber die Decke auf den Kopf fallen lassen, lieber die Tradition wahren, lieber Hausfrau bleiben, lieber den elterlichen Hof übernehmen, lieber nicht nach dem persönlichen Glück suchen, lieber nicht bewundern, wenn andere das doch tun – wenn andere ausreißen aus den beengenden, erzkatholischen, konservativen Strukturen, die Traditionen genannt werden. Das macht man einfach nicht, was würden denn die Leute denken?
Die Frage nach dem Warum? Verpönt. Das fragt man nicht. Lieber gute Miene zum bösen Spiel machen, um der Kollektivlüge willen. Schließlich ist ein „Landei (nur) jemand, der in die Stadt kommt und keine Ahnung von der Stadt hat.“
Ebenso wie die Begründungen, warum das Land mehr Lebensqualität bietet, wurden die Ausreden der Verräter und ihre Begründungen, warum sie in die Stadt gegangen sind konterkariert.
Es gibt keine Arbeitsplätze am Land. Die Anonymität in der Stadt ist ein Vorteil. Konventionen sollen gebrochen werden – aus der Bequemlichkeit herauskommen ist notwendig, um Neues zu erreichen. Es war wegen der Vielfalt an persönlichen Möglichkeiten, die die Stadt bietet. Alle coolen Leute gehen weg.
„Ich wurde nur zufällig am falschen Ort geboren, da musste ich weg.“
Das Festpicken am falschen Ort, anschaulich durch Superkleber gezeigt, kann und muss verhindert werden. Vor allem dann, wenn man schon „immer besser in der Schule war“ und „lässig, frech und überraschend anders“ als die anderen war.
Tja dann –„Heimat kann man halt net leugnen.“